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Landgericht Berlin: Online-Lehrgang zum Fitnesstrainer ohne ZFU-Zulassung verboten

Achtung Vertragsfallen bei Online-Ausbildungen und Zertifikatskursen ohne Zulassung
In diesem Beitrag berichte ich über zwei aktuelle praxisrelevante Urteile im Bereich #e-Learning und #Online-Zertifikats-Lehrgänge. Online-Ausbildungen und Zertifikatslehrgänge (zu oft nicht anerkannten) Berufen wie „Transformationscoach“ oder „Fitnesstrainer“ haben in der Pandemie stark zugenommen und stellen für die Teilnehmer oft eine sehr erhebliche zeitliche und finanzielle Investition in ihre berufliche Karriere dar. Bitter für die Anbieter: Sie erhalten nicht nur auf Antrag etwa eines Teilnehmers, Wettbewerbers, einer Verbraucherzentrale oder der Aufsichtsbehörde (hier die ZFU.de) eine Untersagungsverfügung mit Kostenrechnung, sondern müssen den Teilnehmern auch das Geld zurück zahlen. Viele Teilnehmer sind hier zwar ihrer Rechte nicht bewusst. Es ist aber sowohl für die Anbieter als auch die Teilnehmer umso wichtiger, wenn Anbieter die rechtlichen und qualitativen Anforderungen einhalten, darüber Klarheit hergestellt wird und Teilnehmer vor unseriösen Anbietern effektiv geschützt werden. Deshalb ist Fernunterricht in vielen Fällen nach dem Fernunterrichtsgesetz (FernUSG) zulassungspflichtig und ist auf einen Vertrag zu achten, indem alle essentiellen Details klar geregelt sind. In zwei aktuellen Entscheidungen war das nicht der Fall.

1. Unterlassungsverfügung des Landgerichts Berlin gegen Online-Kurs zum Fitnesstrainer
Das Landgericht Berlin hat mit einer einstweiligen Unterlassungsverfügung vom 15.02.2022 auf Antrag der Wettbewerbszentrale einem Anbieter für einen Online-Lehrgang zum Fitnesstrainer verboten, diesen rein online stattfindenden Lehrgang ohne eine Zulassung der Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) anzubieten. Denn in dem Lehrgang war es möglich, Fragen zu stellen und er sollte zum Beruf des Fitnesstrainers ausbilden. Das stellte nach dem Landgericht einen zulassungspflichtigen Fernunterricht nach dem Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) dar. Nach § 8 FernUSG sind Gestaltungen, mit denen die strengen Vorgaben an die Vertragsgestaltung und Zulassung bei der zuständigen ZFU umgangen werden, verboten. Die Regelungen sind zum Schutze der Teilnehmer weit auszulegen.
Die Entscheidung ist unter LG Berlin, Urteil vom 15.02.2022 – 102 O 42/21 – openJur im Volltext abrufbar.

2. Rechtswidrige Zertifikatskurse
Weitere Negativ-Beispiele aus meiner Praxis sind Anbieter, die mit einer sehr aggressiven Vertriebspraxis Unternehmer und Selbständige zur Buchung von hochpreisigen Lehrgängen zum „Verhandlungsexperten“ und „Zertifikatskurs“en über Social Media zu zunächst kostenlosen Workshops einladen – sei es online oder in Präsens- oder Hybridveranstaltungen –, um dann den von den Workshops begeisterten Interessenten über den telefonischen Vertrieb oder über Online-Formulare Verträge und „Zertifikatskurse“ zu horrenden Preisen zu verkaufen, deren Inhalt und Details nicht dokumentiert werden und oft rechtswidrig sind. Über wichtige Vertragsbestandteile wie Vertragspartner, Lehrgangsinhalte, Leistungspflichten, Preisbestandteile und Nebenkosten sowie Gesamtpreis, Kündigungs- und Widerrufsrechte und ähnliches sind in Textform vor Vertragsschluss zu informieren und die unseriösen Anbieter tun das nicht oder jedenfalls nicht in der vorgeschriebenen Form bzw. machen irreführende Angaben. Wenn die Teilnehmer dann nach der geleisteten Anzahlung feststellen, dass sie keinen dokumentierten Vertrag haben oder die Bestätigung einen anderen Inhalt hat als nach der Werbung gedacht, oder überraschend z.B. in eine „Probe-Mitgliedschaft“ in einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWIV) zugestimmt haben, die angeblich die Steuern zum Lehrgang ersparen soll, wird den meisten Teilnehmern klar, dass der Vertrag wohl nicht so ganz rechtskonform ist. Teilnehmer sind dann oft wegen der fehlenden oder irreführenden Vertragsgestaltungen unsicher, wie sie sich wehren können. Diesen Teilnehmern kann ich sagen: Lassen Sie sich nicht durch Drohungen einschüchtern, sondern kündigen Sie und widersprechen Sie in dokumentierter Form zeitnah diesen Vertragsfallen mit einer kurzen Begründung und senden Sie dies sowohl per E-mail als auch Einschreiben an die Anbieter. Holen Sie sich im Zweifel anwaltliche Hilfe, wenn der Anbieter Ihnen die Auflösung nicht bestätigt, sondern trotzdem Zahlungsaufforderungen und Inkassoschreiben sendet.

2. Praxistipp für Anbieter von Lehrgängen und Fernkursen: lassen Sie sich lieber vorbeugend anwaltlich beraten, ob und wie ihr Angebot zulassungspflichtig ist und den sonstigen Anforderungen entspricht, damit ihr Geschäftsmodell solide aufgestellt ist.

3.Praxistipp für die reingelegten Teilnehmer: Die Scham ist oft groß, wenn man feststellt, dass man sogar als intelligenter Mensch in so eine Falle getappt ist. Aber das ist nicht berechtigt, denn die Anbieter sind verschlagen und jeder hat mal einen schlechten Tag und macht Fehler. Kommen Sie aus so einem Vertrag wieder heraus oder müssen Sie die „Gebühren“ zahlen? Die Antwort ist wie immer: Ich denke, in vielen Fällen ja, aber es ist rechtlich unter anderem wegen der Beweisführung oft kompliziert und nicht eindeutig. Also: es kommt drauf an, lassen Sie es – wenn es um einen hohen Betrag geht – anwaltlich prüfen.

4. Wichtig ist dazu auch das zweite dazu ergangene Urteil des Landgericht Hannover: Auch Selbständige und Unternehmer können als Teilnehmer nach dem Fernunterrichtsgesetz unberechtigte Forderungen zurückweisen, wenn der Lehrgang nach dem Fernunterrichtsgesetz zulassungsbedürftig ist und der Anbieter die Zulassung nicht vorher eingeholt hat, so jedenfalls die Ansicht der ZFU, die z.B. vom Landgericht Hannover geteilt wird. Ohne die Zulassung ist ein insoweit zulassungspflichtiger Vertrag nach §§ 7, 12 FernUSG nichtig und darauf können sich auch Selbständige und Unternehmer berufen, so die Ansicht der ZFU, die aktuell auch vom Landgericht Hannover (Urteil vom 20.02.2023, Az.: 13 S 23/22) bestätigt wurde. Die Entscheidung ist allerdings noch nicht rechtskräftig und noch nicht höchstsrichterlich geklärt.

Auf Nachfrage erhielt ich dazu auch den Hinweis:
Zitat ——-„…

Aus ZFU-Sicht findet das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) auch auf Unternehmer im Sinne von § 14 BGB Anwendung.
Nach Auffassung des Gerichts ist der Begriff „Teilnehmer“ nicht auf Verbraucher in diesem Zusammenhang beschränkt. Darüber hinaus sind die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion nicht gegeben. Hinweise auf eine planwidrige „Zuvielregelung“ des Gesetzes sind nicht ersichtlich. Der „Teilnehmende“ wird in ähnlicher Weise geschützt, wie ein Verbraucher (BeckOGK/Alexander, 1.11.2022, BGB § 13 Rn. 169.1; BeckOK BGB/Martens, 63. Ed. 1.8.2022, § 13, Rn. 19, beck-online), ohne Verbraucher im Sinne des § 13 BGB sein zu müssen.
Nicht zuletzt trat das FernUSG bereits vor Einführung des Verbraucherbegriffs (im Sinne des § 13 BGB) in Kraft. Soweit in der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 7/4245) vom Verbraucherschutz die Rede ist, schließt dies grundsätzlich nicht die Anwendung auf Unternehmer im Sinne des § 14 BGB aus, die im Hinblick auf die Vermittlung von Wissen der Sache nach auch Endverbraucher sind. Insoweit handelt es sich um Verbraucherschutzrecht im weiten Sinne (Tamm/Tonner/Brönneke, Verbraucherrecht, § 1 Verbraucherschutz und Privatautonomie Rn. 4, beck-online).
Im Übrigen hatte der Gesetzgeber aufgrund diverser Novellierungen die Gelegenheit, das FernUSG zu ändern. Diese Möglichkeit wurde nicht wahrgenommen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der vom FernUSG geschützte Personenkreis somit nicht eingegrenzt werden sollte, indem der Begriff „Teilnehmer“ durch den Begriff „Verbraucher“ ersetzt wird…

>“ ——Zitatende

5. Selbst wenn je nach Gestaltung des Angebots kein zulassungspflichtiger Fernunterricht nach § 1 FernUSG vorliegen sollte, kommen weitere Gründe je nach Einzelfall in Betracht, die eine Nichtigkeit begründen können oder dem Teilnehmer ein Widerrufs-/Anfechtungs- oder Kündigungsrecht nach dem BGB einräumen, sodass gegebenenfalls sogar die Anzahlung zurückbezahlt werden muss. Zwar können Selbständige und Unternehmer sich im Normalfall nicht auf ein Widerrufsrecht nach dem Fernabsatzrecht wie ein Verbraucher berufen, aber bei Irreführung, Wucher, Täuschung oder wenn eine entgeltliche Finanzierungshilfe gewährt wird, haben auch Selbständige und Unternehmer nach dem BGB in vielen dieser Fälle dennoch rechtliche Möglichkeiten, die Verträge mit einer Kündigung mangels Vertrauen hilfseise Anfechtungserklärung wegen Irrtum aufzulösen, da es Dienste höherer Art sind, die nach dem BGB immer eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit des Dauervertrags ermöglichen müssen. Diese Erklärungen müssen aber zeitnah ab Kenntnis der Gründe erfolgen. Ferner können auch Existenzgründer sich auf ein Widerrufsrecht berufen, wenn der Anbieter oder Kooperationspartner für die Zahlung auf Raten eine entgeltliche Finanzierungshilfe gegeben haben. Es kommt also darauf an, dass Sie die entsprechende Korrespondenz, Zahlungsseiten, Videos und E-mails dokumentieren können, aus denen sich das ergibt. Hilfsweise sollte auch eine Anfechtung wegen Irrtums spätestens innerhalb von 2 Wochen oder arglistiger Täuschung spätestens innerhalb von 1 Jahr erklärt werden. Auf diese Weise können die Verträge oft wirksam wieder aufgelöst werden. Manchmal wird auch Nichtigkeit wegen Wuchers nach § 138 BGB vorliegen je nach Lage des Falls. Achten sollten Sie dann aber darauf, dass sie die Erklärung mit Begründung nachweislich in dokumentierter Form am besten nicht nur per E-Mail sondern auch Einschreiben mit Sendungsbeleg an die Anbieter senden. Zum Problem, dass einige Anbieter von Online-Seminaren, die Zulassungsfrage nach dem Fernunterrichtsgesetz übersehen, hatte ich bereits 2017 hier berichtet.

Wenn Sie als Anbieter ihren Prozess rechtskonform aufsetzen möchten oder als betroffener Teilnehmer einen ähnlichen Problemfall haben, fragen Sie gerne bei mir mit einer kurzen Schilderung des aktuellen Problems und Situation bei mir an.

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Haftung eines B2B-Software-as-a-Service-Anbieters für unzureichende Aufklärung über Anforderungen

Die Anbieter von Software-as-a-Service-Business-Lösungen haben das Bestreben, Lizenzverträge nur langfristig zu vergeben und dies ist anders als im Privatkundenbereich im B2B Bereich meist eine Laufzeit über viele Jahre. Umso ärgerlicher ist es für den Kunden, wenn sich nach Abschluss des Vertrages herausstellt, dass erwartbare Funktionen bei ihm nicht funktionieren. Beispielsweise weil die Vernetzung mit weiteren vorhandenen Systemen einer ERP Software nicht erfolgreich hergestellt werden kann und die hierfür nötigen Schnittstellen erst noch programmiert werden müssten oder mangels Mithilfe von Drittanbietern nicht erstellt werden können. Auch wenn etwa wegen individueller Besonderheiten und Anforderungen des Geschäfts des Kunden wesentliche Funktionen der Software gar nicht genutzt werden können.

Schadenersatz eines IT-Anbieters wegen Verletzung der vorvertraglichen Aufklärungspflichten über konkreten Anforderungen des Kunden
Das OLG München hat nun in einem Beschluss vom 08.08.2022 Az. 20 U 3236/22 (wie Rechtsanwalt Thomas Stadler, Freising, Bayern, Deutschland berichtet) entschieden, dass der Anbieter einer Buchungssoftware für Hotels von sich aus klären muss, welcher Art der Betrieb seines Kunden ist und welche Anforderungen sein Geschäft an die zu verwendende Buchungssoftware erfüllen soll. Dies gilt jedenfalls dann, wenn anhand weniger Grundfragen – unabhängig von einem Pflichtenheft – diese Anforderungen zu klären gewesen wären. Im Streitfall hatte der Anbieter die Buchungssoftware vermietet, jedoch nicht vor Abschluss des Vertrages darüber aufgeklärt, dass die Software nur jeweils tageweise Buchungen und Rechnungen ermöglicht, keine monatsweise Vermietung vorgesehen ist und die monatsweise Buchung und steuerlich einwandfreie Abrechnung mit Mehrwertsteuer unabhängig von der Anzahl der Anzahl der Tage des jeweiligen Monats diese Buchungssoftware nicht ermöglichte.

Die Verletzung der Aufklärungspflichten machte den Anbieter schadenersatzpflichtig wegen vorvertraglichem Verschuldens nach §§ 280, 311 Abs. 2 BGB auf Rückgängigmachung des Vertrages und Rückerstattung der bereits geleisteten Zahlung, weil bei pflichtgemäßer Aufklärung der Kunde den Vertrag gar nicht abgeschlossen hätte.

Bauprozessoptimierungssoftware ohne konkret benötigte Schnittstellen.
Ähnlich ging es einer Baufirma auch in einem mir vorliegenden Fall, in dem ein deutscher Spezialanbieter für eine Prozessoptimierung der Planung und Logistik für Straßenbaufirmen, die die Vernetzung der Beton- und Asphaltmischanlagen mit Wiegesystem sowie den automatischen Datenaustausch der Geräte zur optimierten Planung in Echtzeit mit einem Software-as-a-Service-System anbot. Obwohl die Software laut Anbieter bei über 200 Mischanlagen funktioniert, stellte sich nach Vertragsschluss heraus, dass der Anbieter für die konkreten Mischanlagen des Kunden und das Wiegesystem keine Schnittstellen bereitstellen konnte und die für die Prozessoptimierung benötigte Vernetzung der Anlagen nicht funktioniert. Des Weiteren stellten sich auch die Werbeaussagen eines automatischen digitalen Lieferscheins, das der Bauleiter „vor Ort“ auf Knopfdruck erstellen lassen kann, als irreführend heraus. In diesem Fall kam es anschließend ebenfalls zum Streit über die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung und über die gegenseitigen Zahlungs- oder Schadenersatzansprüche, der nun beide Unternehmen schwer belastet und über den es noch zu keiner Einigung oder gerichtlichen Entscheidung kam.

#Softwarerecht #Haftung des IT-Anbieters #Schadenersatzpflicht wegen fehlender vorvertraglicher Aufklärung über Anforderungen #Digitale Produkte

Praxistipp für die IT-Beschaffung Achten Sie darauf, die wesentlichen Erwartungen an die Funktionen der Software und deren Systemspezifikationen vor Vertragsschluss mit den konkreten Anforderungen des Kunden abzugleichen und dies im Vertrag oder einer Anlage, die zum Bestandteil des Vertrags gemacht wird, ausdrücklich zu dokumentieren. Soweit diese Anforderungen noch nicht geklärt sind und der Anbieter hierbei nicht hilft, fragen Sie nach einem Beratungsvertrag, Vorvertrag oder Letter-of-Intend vor Abschluss des Hauptvertrages. Lassen Sie besser unternehmenskritische IT-Verträge vor Abschluss fachanwaltlich prüfen.

Wenn Sie anwaltliche Hilfe bei einer ähnlichen Fallgestaltung haben und z.B. eine Vertragsprüfung benötigen, schreiben Sie mir gerne eine Nachricht.